Plenum ETG Congress 2017

Über 300 Experten aus Forschung und Anwendung diskutierten beim ETG Congress 2017 im Plenarsaal des alten Bundestags Blaupausen und konkrete Anwendungsfälle für das Gelingen der Energiewende.

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06.12.2017 Veranstaltungsrückblick

Energiewende: Bauanleitung mit vielen Optionen

Gut eine Woche nach der Weltklimakonferenz COP23 fand in Bonn vom 28. bis 29. November 2017 der Energiewende-Kongress des Technologieverbands VDE (ETG Congress) statt. Über 300 Experten aus Forschung und Anwendung diskutierten unter dem Titel „Die Energiewende – Blueprint for the new energy age“ Blaupausen und konkrete Anwendungsfälle für das Gelingen der Energiewende. Im Fokus stand die Frage nach der richtigen Bauanleitung für den Systemwandel.

VDE-Präsident Kegel beim ETG Congress 2017

„Trommeln Sie lauter, damit die Energiewende nicht von Menschen gestaltet wird, die von der technologischen Realität keine Ahnung haben", so der Rat von VDE-Präsident Dr. Gunther Kegel an die 300 Teilnehmer des ETG Congress.

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„Ich träume davon, dass meine Waschmaschine mit meinem Stromversorger kommuniziert“ so VDE-Präsident Dr. Gunther Kegel im Rahmen seiner Keynote „Die Energiewende ist nicht nur elektrisch“. Um die Masse an Geräten zu verbinden führe dann kein Weg an 5G vorbei. Auch das Thema Cyber Security spiele aufgrund der zunehmenden Vernetzung und der Rolle der Stromversorgung als kritische Infrastruktur eine immer größere Rolle. „Ich als Automatisierungstechniker kann Ihnen als Energietechniker nur eines mitgeben: Trommeln Sie lauter, damit die Energiewende nicht von Menschen gestaltet wird, die von der technologischen Realität keine Ahnung haben.“

Dass die Energiewende nicht nur elektrisch ist, betonte auch Hans van Steen von der Europäischen Kommission: „Bei der Energiewende geht es nicht nur um Strom – die großen Herausforderungen liegen in den Bereichen Wärme und Verkehr.“ In fast allen EU-Staaten seien diese beiden Sektoren beim Thema Energiewende bisher vernachlässigt worden. Für die Europäische Kommission stünden die Themen Energieeffizienz und Versorgungssicherheit ganz oben auf der Agenda: Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ließe sich auch die Abhängigkeit bei fossilen Energieträgern – vor allem Öl und Gas – von Ländern wie Russland reduzieren. „Damit die Energiewende zum Erfolg wird, bedarf es einer engen Kooperation zwischen Technologie-Experten und der Politik“, betonte van Steen abschließend.

Dekarbonisierung, Denzentralisierung und Digitalisierung sind laut Bernd Koch von Siemens die Erfolgsfaktoren und gleichzeitig die Herausforderungen der Energiewende: Über zwei Millionen Erneuerbare-Energien-Anlagen am Netz sorgen zum einen für die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft. Zum anderen stellen sie die Stromnetze vor große Herausforderungen: Innerhalb der vergangenen sieben Jahre haben sich die Eingriffe in das Netz verzehnfacht. Nur durch diese Eingriffe hält Deutschland weiterhin einen der Spitzenplätze, wenn es um die Versorgungssicherheit geht: „Gerade die Eingriffe von Menschenhand sind aber fehleranfällig. Die Dezentralisierung und Digitalisierung müssen deshalb mit der Automatisierung Hand in Hand gehen“, so Koch.

„Zukunft braucht Menschen mit technisch-wissenschaftlichem Hintergrund"

VDE-Präsident Kegel im Interview mit Michael Huppertz (energy-news.tv): „Große Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Energiewende brauchen Menschen, die diese Themen technisch-wissenschaftlich durchdrungen haben – der VDE ist zu Technologiethemen bestens aufgestellt."

Zentraler Erfolgsfaktor der Energiewende: Flexibilität

Jundel beim ETG Congress 2017

„Die Energiewende funktioniert nur, wenn Flexibilitäten auch für Verteilnetze zur Verfügung stehen", Sven Jundel von innogy.

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Dass Flexibilität und der richtige Umgang mit Flexibilitäten in einem immer stärker auf erneuerbaren Energien basierenden Versorgungssystem zum zentralen Erfolgsfaktor wird – darin waren sich die meisten Redner einig. Auseinander gingen die Meinungen jedoch bei der Frage wie mit Flexibilitäten umzugehen ist und welche Rolle sie spielen. Sven Jundel von innogy betonte, dass die Energiewende nur funktioniere, wenn Flexibilitäten auch für Verteilnetze zur Verfügung stünden. Dabei sei die Frage offen, wie das Zusammenspiel zwischen Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreiber bei der gleichzeitigen Vermarktung von Flexibilität aussehen würde.

Laut Achim Zerres von der Bundesnetzagentur stünde ausreichend Flexibilität zur Verfügung: „Wir sehen keine Anzeichen, dass der Markt das in den nächsten 5 bis 15 Jahren nicht geregelt bekommt.“ Die größere Herausforderung sei es, das Geschäftsmodelle anzugehen: „Heute wird die Abregelung erneuerbarer Energien entlohnt und nicht das Lastmanagement. In Zukunft sollten Flexibilitäten nicht entschädigt, sondern entlohnt werden. Ein erster Ansatz könnten die von Agora Energiewende vorgeschlagenen differenzierten Netzentgelte sein.

Bauanleitung – oder wie kann die Energiewende gelingen?

Speh beim ETG Congress 2017

„Was fehlt ist die richtige Bauanleitung für die Energiewende“, Kongressleiter Rainer Speh, Siemens Ltd., Saudi-Arabien.

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Das Energieversorgungssystem 2050 wird ganz anders aussehen als das heutige: „Was fehlt ist die richtige Bauanleitung für die Energiewende“, so die These von Kongressleiter Rainer Speh, Siemens Ltd., Saudi-Arabien. Die Frage nach der Bauanleitung für die Energiewende beantworteten die Referenten unterschiedlich. Speh betonte, dass die Diskussion über Geschäftsmodelle verfrüht sei, solange es noch eine keine technischen Lösungen gebe. „Wir sollten uns dabei nicht auf eine Technologie beschränken – zum Beispiel Speicher – je mehr Optionen wir in der Bauanleitung haben, desto besser“, sagte Dr. Thomas Breuer von innogy und Mitglied im Vorstand der energietechnischen Gesellschaft des VDE (VDE|ETG). Jonas Danzeisen von Venios sieht großen Nachholbedarf in der Automatisierung: „Beim Thema Digitalisierung muss die Energiewirtschaft noch aufholen.“

Mit der Frage, wie die Energiewende und die Digitalisierung der Energiewirtschaft gelingen können, setzen sich auch die SINTEG-Projekte (Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende) auseinander. Beim ETG Congress 2017 präsentierten sich alle fünf Projekte. Allen gemein dabei: In großflächigen „Schaufensterregionen“ werden die Rahmenbedingungen der Energiewende ausgelotet. Ziel sind skalierbare Musterlösungen für eine sichere, bezahlbare und umweltschonende Energieversorgung. Die Themen der einzelnen Projekte reichen von der intelligenten Vernetzung von Erzeugung und Verbrauch bis hin zum Einsatz innovativer Netztechnologien und -betriebskonzepte. Angegangen werden die Themen Systemintegration, Flexibilität, Digitalisierung, Systemsicherheit und Energieeffizienz sowie der Aufbau intelligenter Energienetze und Marktstrukturen.

Energiewende: Menschen mitnehmen

Friedhelm Lange (BVB) und Sebastian Ackermann (Innogy) bei der Podiusmdiskussion

„Die Silicon-Valleysierung geht mir auf die Nerven – es darf nicht zum Ausverkauf deutscher Ingenieurskunst kommen“, Sebastian Ackermann von innogy (rechts).

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Nicht nur die technischen Rahmenbedingungen spielen für das Gelingen der Energiewende eine Rolle – entscheidend ist auch der Faktor Mensch: „Die Prosumer werden sich ihre Rolle in der Energiewirtschaft nehmen – ob man sie haben will oder nicht. Und man muss mit Ihnen umgehen können“, mahnte Achim Zerres von der Bundesnetzagentur. Ein einzelner Prosumer habe wenig Einfluss auf die Netze. In der großen Zahl, die die Akteure in Zukunft erreichen werden, müssen sie jedoch ernst genommen werden.

Ernst nehmen und mitnehmen müsse man beim Thema Energiewende auch die Menschen – da waren sich Friedhelm Lange, Marken-Verantwortlicher beim Fußballbundesligisten Borussia Dortmund, und Sebastian Ackermann von innogy einig: Während im Sport positive (Sieg) und negative (Niederlage) Emotionen nahe beieinander liegen, dominieren bei der Energiewende häufig negative Assoziationen wie Monstertrassen oder Arbeitsplatzverlust. Ähnlich wie ein Stadionbesucher sich nicht als Konsument, sondern als Fan versteht, gehe es auch bei der Energiewende darum, die Menschen ernst zu nehmen und abzuholen. Viele Unternehmen täten sich schwer, Ingenieursdienstleistungen zu verkaufen, so Ackermann: „Wir müssen hier selbstbewusster werden: Die Silicon-Valleysierung geht mir auf die Nerven – es darf nicht zum Ausverkauf deutscher Ingenieurskunst kommen.“

„Energiewende nicht ohne Technikverstand"

Michael Huppertz (energy-news.tv) spricht im Interview mit Prof. Christian Rehtanz, Vorsitzender der ETG über die Highlights des ETG Congress 2017 in Bonn.

Impressionen des ETG Congress 2017

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