Spürbar ist die Offenheit für andere Sichtweisen auch auf der Konferenz: Elektrotechnik, Digitalisierung, Klimaschutz und Kommunikation sind in Vorträgen, Gesprächen und Rückfragen oft eng miteinander verwoben. Ein Zuhörer berichtet vom gemeinschaftlichen Eigenverbrauch in Mehrfamilienhäusern, der in Österreich bereits möglich sei, und durch den direkten Nutzen Akzeptanz steigere. Ein Referent erzählt von einem Experiment bei der „Nacht der Wissenschaften“, bei dem die Teilnehmenden das elektromagnetische Feld an einer Freileitung (30 µT) und an einer Bohrmaschine (80 µT) selbst nachmessen konnten.
Kann die dezentrale Energiewelt auch Redispatch?
Unter den Fachvorträgen hervorheben lässt sich der Block zum Thema Redispatch, bei dem sich hinter den voll besetzen Stühlen die Zuschauenden in zwei stehenden Reihen drängen. Christiane Schiller von 50Hertz und Christoph Brosinsky von den Thüringer Energiewerken berichten mit offenen und deutlichen Worten von den Erfahrungen mit dem Pilotbetrieb zum Redispatch 2.0, an dem bereits Anlagen ab 100 kW Nennleistung teilnehmen sollten.
Nach einem schwierigen Start begann der Pilotbetrieb bei 50Hertz und zwei Verteilnetzbetreibern im Juni 2022. „Mittlerweile ist das Redispatch 2.0 im operativen Betrieb mit Einschränkungen. Unser Ansatz ist ein Minimum Viable Process“, sagt Brosinsky. Bevor es ans weitere Rollout geht, soll aber erstmal eine vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) koordinierte Taskforce für klare Rahmenbedingungen sorgen.
Auf der Konferenz war auch das Redispatch 3.0 bereits Thema, das bis in die Prosumerebene hineinreichen soll. Fahrpläne gibt es dort nicht mehr – stattdessen müssen Künstliche Intelligenz und austarierte Anreize dafür sorgen, dass hunderttausende Wärmepumpen und Elektroautos sich netzgerecht verhalten. Wie das zumindest theoretisch gehen kann, diskutieren Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber, Industrieunternehmen und Standardisierungsorganisationen noch bis Ende 2024 in einem Forschungsprojekt.
Ausgezeichnet: Großes Engagement und gute Poster
Nach zwei intensiven Konferenztagen waren am Freitagnachmittag noch einige Auszeichnungen zu vergeben. Die erste war der Herbert-Kind-Preis, den die VDE ETG jährlich für besondere Studienleistungen verleiht und der ein Stipendium in Höhe von 5.000 Euro für einen Auslandsaufenthalt beinhaltet. Er ging in diesem Jahr an Lisa Reis, die gerade ihren ihren Master in Elektrischer Energietechnik abgeschlossen hat. Ihr Stipendium nutzte sie für ihre Masterarbeit im norwegischen Trondheim. In Kooperation mit dem Forschungsinstitut SINTEF Energy Research untersuchte sie dort mit einem Echtzeitsimulator, wie sich Offshore-Windenergie ins norwegische Netz integrieren lässt – und konnte während ihrer Arbeit am Schreibtisch nebenbei die Nordlichter beobachten.
Der Träger des ETG-Awards, Dr. Martin Kleimaier, erhielt den Preis als ein „seit vielen Jahren besonders aktives Mitglied“ der ETG. Seit 2017 setzte er neue Akzente im Fachbereich Erzeugung, rückte die Erneuerbaren Energien und Stromspeicher in den Vordergrund. Das machte sich nicht nur in Hintergrundpapieren bemerkbar, sondern wenn nötig auch in schnellen öffentlichen Reaktionen. Als zu Beginn der Energiekrise ein Hype um Heizlüfter ausbrach, reagierte Kleimaier schnell mit offensiver Aufklärungsarbeit und Interviews in Publikumsmedien. Dass sich das Engagement in einem Preis niederschlägt, hatte er nicht erwartet. „Ich war geflasht“, sagt er.
Über die besten Poster der Konferenz hatte das Publikum per App abgestimmt. Die drei Poster-Awards gingen an Markus A. Koch (Low Voltage Laboratory Grid for Smart Grid Systems with Bi-Directional Power Flows, Andreas Winter (Application of artificial neural networks for power system state estimation - Validation with a weighted least squares algorithm) und Soham Choudhury (Dezentrale Leistungsflussregelung mit Unified Power Flow Controller in Übertragungsnetzen).
Mehr Kommunikation und transdisziplinäres Arbeiten, mehr Sichtbarkeit für Innovationen, mehr Begeisterung – mit diesen Worten lassen sich die Zukunftswünsche und Vorsätze zusammenfassen, die die Teilnehmenden mit nachhause nehmen. Tagungsleiter Schwan sagt es mit einem Sprichwort: „Tu Gutes und rede darüber – auch auf Social Media“.